Wir beschlossen uns die Sache mit den Kannibalen etwas genauer anzusehen und fuhren in den Norden Malekulas, in eine kleine Ortschaft nahe der Insel Wala.
Irgendwie sind wir hier, obwohl wir nur ein paar Tage bleiben wollten, etwas versackt. Bei einer sehr netten Familie, die uns und wir sie sehr ins Herz geschlossen haben. Unseren Gastgeber scheint hier jeder zu kennen, er ist in einer Partei, hat im Norden die Bungalows und Zugang zu der Insel, auf der es viele historische Stätten gibt. Seine Schwester hat etwas weiter im Süden – in Flughafennähe – das Gästeunterkunftsimperium unter sich. Sein Bruder wohnt direkt bei uns nebenan, Gästeführer, Geschichtsfreak und, wie wir nach einigen Tagen beim gemeinsamen Raspeln von Kokosnüssen (ich kann jetzt btw. Kokosnüsse mit einem Buschmesser öffnen, Vorführungen der neu erlernten Kunst auf Anfrage) erfahren durften, sehr gegen das politische Konzept, dass in diesem Lande gefahren wird, da es nur die Taschen der Politiker füllt. Er und sein Sohn seien Teil einer noch kleinen, aber wachsenden Gegenbewegung. Wie er zur politischen Karriere seines Bruders steht hab ich mich noch nicht getraut zu fragen.
Ein paar Solarpanelen für Licht und ab und an durch einen Generator hoch gepumptes fließendes Wasser stellen hier die Grundversorgung für uns verwöhnte Westler sicher. Regenwassertank und Taschenlampe sorgen für den Rest. An Wifi oder auch nur Handynetz (hab ich btw erwähnt, dass im ganzen Land nicht mal Roaming funktioniert?) ist nicht zu denken. Gekocht wird in der Küche der Hausherrin, einem Haus mit Feuerstelle. Den Respekt ohne Aufsicht / Hilfe kochen zu dürfen verdiente ich mir am dritten Abend, als ich die Glut zum Feuer anpustete und erzählte, dass bei meinen Eltern mit Holz geheizt wird und ich wisse, wie man Feuer macht. Fast alle Häuser hier auf Malekula sind aus Palmblättern, Holz u.ä. gebaut, innen liegen ein paar Palmblättermatten auf dem Boden. In den Touristenräumen gibt es Betten und vll auch einen Tisch. Kein Wunder also, dass eine gewisse Sorge besteht, dass die Touris aus Versehen die Hütte abfackeln.
Die Kannibalen, so durften wir lernen, kochten ihre Opfer übrigens nicht. Das Bild, des im Palmröckchen um den großen Kochtopf tanzenden Wilden, mussten wir somit endgültig aus unseren Köpfen verbannen. Der zu verspeisende wurde vielmehr in Bananenblättern eingewickelt und mit heißen Steinen bedeckt in einem Erdofen gebacken. Auch war das Verzehren war kein wildes Fest. Die Esser steckten sich ein Holzstäbchen in die Haare und aßen komplett schweigend. Das Holzstäbchen diente dazu, sich wenn nötig damit kratzen zu können, da ansonsten mit den Händen zugefügte Kratzspuren fremden Zauberern ermöglichten den Esser zu lokalisieren und Rache zu üben. Teil dieses martialischen Brauches waren im Übrigen nur die Männer (wie könnte es anders sein), Frauen waren hierbei außen vor. Ebenso waren kriegerische Aktivitäten ausschließlich Männersache, Frauen konnten sich frei bewegen und so auch als Botschafterin dienen.
Ähnlich fremd war uns der frühere Bestattungskult. Starb der Chief eines Stammes, wurde er sitzend begraben, nur der Kopf schaute oben raus. Nach einer Woche wurde der Kopf (durch ein Feuer verbrannt) abgetrennt und in einen Schrein aus Steinplatten gesetzt. Der so entstandene Friedhof war ein heiliger Ort, an dem sich nur der neue Chief aufhalten durfte, um seine Ahnen nach Rat zu fragen. Ein paar dieser leeren Augehöhlen starrten uns noch auf dem Weg durch das Dickicht an, bevor wir ein paar Meter weiter gemütlich zusammen saßen und unterwegs gepflückte Papaya und Grapefruit aßen.
Um das Kulturprogramm abzurunden und den Kontakt zu unseren Ahnen herzustellen, haben wir inzwischen auch Kava gekostet. Alkohol gab es schon lange nicht mehr zu kaufen, also schien es uns mehr als angemessen, sich den ortsüblichen Rauschmitteln herzugeben. In der nächsten Kavabar, einer kleinen, bunt bemalte Palmblätterhütte, bekamen wir sehr zu meinem Bedauern weder in Kokosnussschale, noch in einer Muschel, sondern in schnödem, geringelten Porzellan, den milchig braunen Saft der Wurzel der Kavapflanze serviert. Der Geruch und Geschmack war scharf, erinnerte ein wenig an Grasschnitt, Ingwer und bittere Medizin. Unsere Münder waren schon nach dem ersten Schluck vielversprechend betäubt, sehr ähnlich, wie es sich nach dem Kauen von Kokablättern anfühlt. Kava ist zwar längst nicht so abstoßend wie das ugandische aus Mais gebraute Local-Beer, aber entsprach aber dennoch so wenig unserem Geschmacksideal, das wir uns tapfer nach zwei Näpfen geschlagen gaben und ohne einen weiteren Effekt zu empfinden aufgaben. Somit bleiben Ananas und Mango unsere derzeitigen Genussmittel, was auch nicht das schlechteste ist. Wobei, eine kleine, großartige lokale (und zum Glück sehr leicht nachzumachende) bekommen wir fast jeden Morgen zu Frühstück: Coconutjam. Vier TL Zucker im Topf karamellisieren lassen, Kokosmilch von einer Kokosnuss einrühren (vll 1/2 Dose?), aufkochen, fertig.
Den (für mich) schönsten Moment hatten wir eines Abends, als wir auf Meer und Sternenhimmel schauten. Es war ziemlich klar und in weiter Ferne sahen wir den Lavasee von Ambrym rot am Himmel leuchten. Es erinnerte mich so an den Abend in Gisenyi, als wir den Nyragongo nur 20 km von uns entfernt ähnlich leuchten sahen, aber es einfach nicht über die Grenze in den Kongo schafften. Nur das diesmal die Chancen sehr viel besser stehen, dass ich es diesmal schaffen werde dem ersten meiner Big Five ins Angesicht zu sehen.
Wie schön mit auf Eure Reise genommen zu werden. Hier ist es grau und schuppig, dennoch höre ich beim Lesen ein wenig Meeresrauschen, das Raschel vom Wind in den Bananenblättern und fühle die warme Sonne auf der Haut. Hach!